Du gehst aber nicht barfuß vor Gericht?

Diese selbstverständlich rhetorische Frage höre ich oft. Die Antwort ist natürlich „Nein“. Genauso wenig, wie ich mit kurzen Hosen vor Gericht gehe – das werde ich aber auch nie gefragt.

Wie kommt es also, dass zwar kurze Hosen auch bei Männern als legere Freizeitbekleidung völlig akzeptiert sind und auch Sandalen bzw. Flip-Flops, die den Blick auf die Füße völlig frei lassen, ganz normal sind, es anscheinend aber Irritationen auslöst, wenn man eben die Flip-Flops auch noch weglässt?

Umgekehrt wird „barfuß“ als Lifestyle ja geradezu propagiert. Man sieht barfüßige Models zunehmend in Katalogen und Werbeanzeigen z.B. von Möbelhäusern – das steht wohl für Lässigkeit, Bequemlichkeit, eben Wohlfühlen. Und in den Innenstädten schießen sogenannte „Barfuß-Läden“ wie Pilze aus dem Boden – auch in Offenburg in bester Einkaufslage in der Steinstraße gibt es so einen. Verkauft werden da für einen relativ hohen Preis Fußbekleidungen, die merkwürdig aussehen und weder vor Kälte, noch vor Nässe, noch vor scharfen Kanten schützen. Dafür sollen sie ein „Barfuß-Gefühl“ vermitteln und einen natürlicheren Gang. Dessen unzählige positiven gesundheitliche Aspekte von mehr Körpergefühl über mehr Fitness bis hin zu verschwindenden Kopf- und Rückenschmerzen erklärt uns die Werbung dieser Kette in aller Ausführlichkeit.

Die unausgesprochene Botschaft: Barfuß ist cool, gesund und entspannend – aber selbstverständlich außerhalb von Haus und Garten nicht möglich. Schon im Schwimmbad und erst recht am Baggersee müssen Badeschuhe her und ansonsten eben sogenannte „Barfuß“-Schuhe, um die armen Füßchen vor scharfen Kanten, Bienen, Dreck, Glasscherben, Fußpilz und was noch immer zu schützen. Nichts, was nach meiner Erfahrung in der Häufigkeit vorkommt, wie das Otto Normalschuhträger annimmt und vor allem nichts, was man nicht durch etwas Achtsamkeit vermeiden könnte. Und „Achtsamkeit“ ist doch auch so etwas, was als Schlüssel für die Vermeidung aller Seelenqualen hoch im Kurs steht – vor allem im Volkshochschulkurs oder dem anderer noch edlerer und teurerer Anbieter, finanziell gefördert von den Krankenkassen.

Und da wirkt es wohl irritierend, wenn jemand einfach macht, was zwar gut und gesund sein soll, aber doch angeblich gar nicht geht – nämlich wirklich und echt barfuß gehen, ohne „Barfuß-Schuh“ und nicht nur am Baggersee, sondern auch mitten in der Stadt. Gar auf der Gartenparty so erscheint. Viele finden das cool, manche peinlich, aber alle ungewöhnlich und kaum einer probiert es selbst aus.

Ich bin nach einer schweren Verletzung zum Barfußgehen gekommen – zum Glück war es kein Herzinfarkt, kein Schlaganfall oder sonst etwas, was dauerhafte Schäden hinterlassen hätte. Und wonach man sich immer fragt, was man eigentlich bisher vom Leben gehabt und was man sich alles verkniffen hat, weil „man“ das ja angeblich nicht macht. Also habe ich beschlossen, mit dem Barfußgehen nicht zu warten, bis ich irgendwann im Ruhestand bin und keinen mehr interessiert, was ich tue oder lasse – vielleicht erlebe ich den ja gar nicht, aber die Chance dafür steigt jedenfalls, wenn ich mich bis dahin wohl fühle. Achtsamkeit eben, unterstützt ja auch die Krankenkasse. Meine Form davon ist aber völlig kostenfrei zu haben.

Wie eingangs gesagt: Natürlich nicht vor Gericht. Und auch nicht bei Besprechungen, Empfängen oder sonst irgendwo, wo ein formaler Dresscode üblich ist. Nirgendwo, wo man bei passendem Wetter nicht auch kurze Hosen tragen kann ohne anzuecken. Aber am Schreibtisch gönne ich meinen Füßen durchaus Freiheit – wie auch den Gedanken, um unkonventionelle, kreative Lösungen für Sie zu finden. Eben immer nach dem Motto: Nicht sich davon lähmen lassen, was angeblich nicht geht, sondern überlegen was geht und zum Ziel führt. Und das vielleicht besser und schneller ohne lähmende Konventionen.