Moment Mal, das ist ein Blog, in dem ich auf unterhaltsame eingängige Weise unsere Kompetenz als Rechtsanwälte darstelle. Kann man da über Rassismus reden? Ist dieses Thema nicht viel zu heikel und kontrovers, sozusagen schlecht fürs Marketing?

Ich habe darüber noch nachgedacht, als ich von einem schönen Abendessen nach Hause kam, den Briefkasten geöffnet habe und einen Flyer der Identitären Bewegung herausgezogen habe. Auf dem Deckblatt steht geschrieben „Europas neue patriotische Jugend bildet die aktive Phalanx zur Verteidigung unserer Werte, unserer Identität und unserer 3000-jährigen Kulturgeschichte.“

Es ist erst wenige Tage her, da hat jemand „unsere Werte, unsere Identität und unsere 3000-jährige Kulturgeschichte“ in Hanau mit einer Pistole verteidigt gegen Menschen, die hier geboren sind oder seit Jahrzehnten hier leben, mit denen der Täter vielleicht früher sogar zur Schule gegangen ist, und die er doch nicht als Teil unserer „Identität“, sondern als eine Bedrohung empfunden hat, so dass er meinte uns mit der Waffe in der Hand gegen diese unschuldigen Menschen „verteidigen“ zu müssen. Welche Menschenverachtung und welch ungeheuerliche Anmaßung!

Und spätestens, als sich die Identitäre Bewegung nicht scheut, wenige Tage nach dieser Bluttat auch noch für sich Postwurfwerbung zu machen, wird mir endgültig klar: Es ist völlig egal, ob es gutes Marketing ist, in diesem Blog über Rassismus zu schreiben. In diesen Zeiten muss ich es machen, wenn ich überhaupt noch in den Spiegel schauen will!

Wie Alltagsrassismus unsere Gesellschaft vergiftet, die Hemmschwelle für Taten wie die in Hanau (und davor Mölln, Solingen, den NSU, den Lübcke-Mord, Halle und noch einige mehr) senkt und was dagegen zu tun ist, dazu haben in den letzten Tagen viele Politiker, Journalisten und sogar Büttenredner alles erforderliche gesagt. Ich maße mir nicht an, mehr oder gar besseres zu wissen. Ich werde mich daher hier konkret mit dem Flyer der Identitären Bewegung beschäftigen als besonders perfides Beispiel der Manipulation, den viele in ihren Hausbriefkästen vorgefunden haben.

Dort steht nichts davon, dass Juden oder Muslime, Türken oder Araber Untermenschen wären, die man vernichten müsste. Der Rassismus kommt subtiler daher, scheinbar harmlos, in Form von Aussagen, denen schwer fällt sich zu entziehen. So heißt es dort bei „Forderungen und Ziele“ unter dem Punkt : „Verteidigung des eigenen und der Vielfalt der Völker“:

Unser politisches Engagement fußt auf der Liebe zum Eigenen und nicht auf der Ablehnung des Fremden. Deutschland und Europa müssen wieder ein positives und unverkrampftes Verhältnis zu ihrer eigenen Identität aufbauen. Wir wollen anstelle von linksliberalen Gesellschaftsexperimenten eine Welt der Völker und Kulturen.

Klingt soweit noch harmlos und nach dem, was man als wertkonservativer Bürger noch meint, ebenfalls unterschreiben zu können. Was aber konkret damit gemeint ist, wird im folgenden Absatz deutlich unter der Überschrift „Stopp des großen Austausches“:

Wir erleben heute eine Entwicklung, die uns mittelfristig zu einer Minderheit im eigenen Land werden lässt. Einerseits sinkende Geburtenraten der einheimischen Bevölkerung, andererseits eine ungebremste Massenimmigration kulturfremder Menschen.

Ich übersetze mal, was diese beiden Absätze in der Zusammenschau tatsächlich bedeuten:

„Wir haben nichts gegen Fremde, solange diese Fremden nicht unter uns leben wollen. Und selbst wenn sie hier geboren und aufgewachsen sind, so bleiben sie doch fremd und sollten verschwinden.“

Dazu heißt es in dem Flyer weiter:

Die Identitäre Bewegung thematisiert jene Aspekte in unserer Gesellschaft, über die viele sprechen wollen, es sich aber Dank eines „sanften Totalitarismus“ nicht trauen.

Darin stecken gleich mehrere perfide Falschbehauptungen:

Zum einen, dass man über etwas angeblich nicht reden dürfe, mit dem sich gefühlt hunderte Bücher, Zeitungsartikel und Talkshows befassen. Die Wahrheit ist vielmehr, dass in den letzten Jahren viele unsägliche Dinge wieder sagbar geworden sind. Aber nicht etwa diese Verrohung der öffentlichen Diskussion soll ein Problem sein. Ganz im Gegenteil wird beklagt, das öffentlich Sagbare sei zu eng und – wie ich kürzlich allen Ernstes nicht in einem Flyer der Identitären Bewegung, sondern einem Artikel der NZZ gelesen habe – nach links gerückt. Das ist schon ein bemerkenswertes Beispiel Orwell’scher Doppeldenke, wie sie in dessen Dystopie 1984 eindrucksvoll als Instrument der Gehirnwäsche der Massen beschrieben wird, indem einfach wiederholt und mit Überzeugung das genaue Gegenteil von dem behauptet wird, was tatsächlich passiert, bis man es irgendwann glaubt.

Zum anderen, dass viele über die Themen der Identitären Bewegung sprechen wollen, sich aber nicht trauen. Man braucht nur mal in die Kommentarspalten eines beliebigen Online-Mediums zu schauen, um zu sehen, dass alle, die darüber sprechen wollen, sich auch trauen. Wer sich tatsächlich nicht traut seine Meinung zu sagen sind die, die eigentlich widersprechen wollen – zu aufwändig, zu unangenehm, schlecht für Freundschaften und womöglich auch fürs Geschäft. So bringen die Identitären das Kunststück fertig, einerseits aufgrund der Masse und Lautstärke ihrer Beiträge und des geringen Widerspruches sich als Mehrheit zu fühlen, aber gleichzeitig sich als von einer linksgrünen Meinungsdiktatur verfolgte Minderheit zu inszenieren. Orwell hätte sich diese perfide Volte nicht besser ausdenken können. Das wirklich erschreckende ist, dass ich in meiner Facebook-Timeline immer wieder fassungslos mitverfolgen muss, wie Menschen, die ich aus dem realen Leben als intelligent, empathisch und alles andere als rechts kenne, immer wieder auf so etwas hereinfallen und Artikel teilen, die sich oberflächlich richtig und harmlos anhören, die aber bei aufmerksamen Lesen eine Bedeutung haben, bei der ich nur trocken schlucken kann. Und dann oft überhaupt nicht verstehen, warum ich mich so vehement dagegen äußere.

Und so musste mir auch schon oft die keineswegs immer anerkennend gemeinte Frage gefallen lassen, wo ich denn die Zeit her nehme, so viel in Sozialen Medien zu den Themen Demokratie, Rassismus und gegen die AfD zu schreiben, ob ich eigentlich sonst nichts zu tun habe. Klar hätte ich besseres zu tun, aber eben nichts wichtigeres. Denn es gibt nichts wichtigeres, als die freiheitliche Demokratie zu verteidigen – gerade als Anwalt, für den diese unverzichtbare Grundvoraussetzung seiner Arbeit ist. Aber auch als normaler Bürger, weil die Geschichte lehrt, dass sobald bestimmte Rechte für Minderheiten nicht mehr gelten, es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie auch für die Mehrheit nicht mehr gelten. Und ich will nicht irgendwann der übernächsten Generation erklären müssen, wie uns Faschismus schon wieder passieren konnte, wo wir es doch nach den Erfahrungen von 1933 bis 1945 wirklich hätten wissen und erkennen müssen. Und schon gar nicht antworten müssen: „Tut mir leid – zum einen hatte ich zu viel Arbeit, um mich um sowas auch noch zu kümmern, zum anderen wäre es auch ganz schlechtes Marketing gewesen“ .