Ein Schreckgespenst durchstreift das Land. Es nennt sich Abmahnung. Das klingt so ähnlich wie Abzocke und wird von vielen auch genau so verstanden. Und wie in jedem guten Horrorfilm steigt die Spannung dadurch, dass das Grauen diffus und nicht greifbar bleibt.

Das Leben ist aber kein Horrorfilm und eine Abmahnung weder ein diffuses Grauen, noch automatisch gleichzusetzen mit Abzocke.

Eine Abmahnung ist ganz allgemein gesprochen nicht mehr und nicht weniger als eine Aufforderung ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen verbunden mit der Androhung von Konsequenzen, wenn das nicht passiert. Wir Juristen sagen, sie hat eine Hinweisfunktion und eine Warnfunktion.

Gut erklären kann man das am Beispiel Arbeitsrecht: Dort droht der Arbeitgeber in der Abmahnung dem Arbeitnehmer die Kündigung an, wenn er bestimmte Dinge weiterhin macht – z.B. permanent zu spät kommen, unentschuldigt fehlen,  Sicherheitsbestimmungen missachten etc. Der Arbeitnehmer soll begreifen, dass es jetzt ernst wird und er sein Verhalten entweder ändern oder aber gehen muss. Die Abmahnung ist somit typischerweise Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung – nicht aber bei ganz schweren Verfehlungen, von denen jeder sowieso wissen muss, dass das gar nicht geht, wie z.B. den Chef zu beklauen oder sich mit den Kollegen zu prügeln. Da kann man gleich kündigen – denn niemand muss sich zweimal beklauen oder verprügeln lassen.

Im Mietrecht läuft das ganz ähnlich. Und niemand kommt auf die Idee Abmahnung mit Abzocke gleichzusetzen. Und auch der Horror hält sich in Grenzen, obwohl doch der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung droht. Man hat aber den Eindruck, die Betroffenen sind selbst schuld und könnten ja was tun, um das drohende Unheil zu verhindern.

Der Horror lauert im Urheberrecht und im Wettbewerbsrecht. Dort funktioniert die Abmahnung etwas anders. Auch dort werden die Betroffenen aufgefordert, ein bestimmtes Verhalten zukünftig zu unterlassen, etwa die ungenehmigte Nutzung einer Marke, den illegalen Download eines Musiktitels von einer „Tauschplattform“ oder bestimmter aggressive bzw. irreführende Werbemethoden. Allerdings werden Konsequenzen nicht nur für die Zukunft angedroht, sondern folgen gleich ganz unmittelbar – bei Urheberrechtsverletzungen werden schon für die Vergangenheit Lizenzgebühren fällig, Unterlassungserklärungen mit horrenden Strafandrohungen sollen unterschrieben werden und jedenfalls die Anwaltskosten für die Abmahnung müssen bezahlt werden.

Und letzteres ist der Stoff, aus dem der Alltags-Horror ist: Der „Abmahn-Anwalt“ geht um, so eine Art Vampir der modernen Zeit, der rastlos das Internet durchstreift auf der Suche nach kleinsten Verfehlungen der normalen Menschen, über die er dann unvermittelt herfällt und sie gnadenlos aussaugt – er trinkt zwar nicht ihr Blut, sondern viel schlimmer, er raubt ihr Geld. Und das vermeintlich ganz legal.

Der höfliche und vornehme Beschreibung dieser Geschichte ist: „Das ist eine urbane Legende“. Die deutliche und treffende ist: Das ist völliger Blödsinn!

Wer eine fremde Marke benutzt, um sein eigenes Geschäft anzukurbeln, seine Homepage mit Bildern schmückt, ohne den Fotografen zu bezahlen oder den neuen Film lieber kostenlos von der „Tauschbörse“ streamt, anstatt das Netflix-Abo zu bezahlen, weiß doch ganz genau, dass er etwas verbotenes macht und jemanden schädigt. Und soll dann eben die Konsequenzen tragen, wenn er erwischt wird. Zumal der Gesetzgeber schon längst für Verbraucher die Anwaltskosten, die sie erstatten müssen, auf ein Niveau gesenkt hat, dass zwar immer noch weh tut, aber niemanden umbringt und niemanden dazu verhilft reich zu werden.

Und ähnlich ist das im Wettbewerbsrecht. Wer sich durch unlautere Methoden einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschafft, soll das zum einen künftig bleiben lassen, zum anderen die so illegal erlangten Gewinne herausgeben. Und unlauter ist es eben auch, wenn man dadurch, dass man bestimmte Gesetze schlicht ignoriert, sich einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschafft, die sich an die Gesetze hält. Hierbei geht es aber eben gerade nicht um jeden Gesetzesverstoß – entscheidend ist, dass der im Wettbewerb tatsächlich einen relevanten Vorteil bringt. Etwa, in dem man sich Kundendaten einfach irgendwoher beschafft und diese Kunden dann aggressiv bewirbt, ohne dass die dem jemals zugestimmt haben. Das ist auch nicht neu und war in den letzten Jahren immer mal wieder Thema von Auseinandersetzungen.

Und deswegen ist auch die aktuelle Hysterie wegen der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) völlig unbegründet: Nicht jeder formale Verstoß kann abgemahnt werden, sondern nur solche, die im Wettbewerb relevant sind. Und auch nicht von jedem, sondern nur von betroffenen Konkurrenten, Wirtschafts- und Verbraucherverbänden oder den zuständigen Berufskammern. Und allenfalls noch von den Verbrauchern selbst, deren Daten gegen ihren Widerspruch weiter gespeichert werden, obwohl man sie eben nur für unerlaubte Werbung bräuchte.

Irgendein „Abmahnanwalt“ kann also gar nicht von sich aus tätig werden, sondern braucht erst einmal den passenden Mandanten. Weil sich die aber gar nicht melden, sind wohl einige dubiose Typen, die ich ausdrücklich nicht als „Kollegen“ bezeichnen möchte, dazu übergegangen Mandanten einfach zu erfinden und in deren Namen Abmahnungen zu verschicken. Nun ja, schwarze Schafe gibt es überall – sie sind aber nicht die Regel, und nach ihnen sollte man weder ein Gesetz, noch einen Berufsstand beurteilen. Und vor allem sich nicht von ihnen verunsichern lassen.