Jetzt sind schon dreieinhalb Monate des Jahres 2022 vergangen, ohne dass ich bislang einen einzigen Blog-Beitrag geschrieben habe. Worüber hätte ich auch schreiben sollen?

Zuerst war da die Ommikron-Welle mit Inzidenzen in schwindelerregenden Höhen, gleichwohl begleitet von Lockerungsdebatten und der inzwischen erfolgten Abschaffung nahezu aller Maßnahmen. Dazu habe ich in den letzten zwei Jahren aber nicht nur hier, sondern auch in vielen Posts in den sozialen Netzwerken alles gesagt, und nicht nur in dem Punkt halte ich es mit Christian Drosten: Ich will nicht zum Papagei werden, der dasselbe immer und immer wieder wiederholt – auch wenn es etwas anderes ist als das, was Professor Drosten sagen würde.

Seit fast zwei Monaten wird Corona sowieso überschattet vom russischen Überfall auf die Ukraine, der grundlegende Gewissheiten unseres Lebens der letzten Jahrzehnte massiv in Frage stellt. Immerhin bin ich im Kalten Krieg aufgewachsen und habe noch meinen Wehrdienst geleistet in einer Zeit, als Gorbatschow ganz neu in der Sowjetunion an der Macht war und man seinen Beteuerungen von Glasnost und Perestroika noch misstraut hat. Als Teenager kannte ich es daher gar nicht anders, als mit einem Gefühl ständiger atomarer Bedrohung und Angst vor einem Dritten Weltkrieg zu leben, die dann aber im Alltag doch keine besondere Rolle spielte. Meine jüngeren Partner in der Kanzlei kennen dieses Gefühl aber schon nicht mehr und erleben es jetzt zum ersten Mal – und wenn Sie als Leser sich gerade fragen, was nochmal die Sowjetunion und wer dieser Gorbatschow war und was die russischen Wörter weiter oben bedeuten, gehören Sie wohl auch zu der Generation, die gerade mühsam und unter Schmerzen lernen muss, was es heißt mit einer ständigen Bedrohung zu leben, die nicht wieder verschwindet – das gilt sowohl für Corona als auch für die russische Aggression.

Während die Corona-Maßnahmen indes noch jeden sehr unmittelbar in seinem Alltag betrafen und damit auch Anlass für eine Anwaltskanzlei gaben, sich damit – teilweise auch sehr kritisch – auseinanderzusetzen, entzieht sich die russische Aggression vollständig unserem Einfluss. Von steigenden Preisen für Strom, Gas und Benzin sind wir zwar auch alle unmittelbar in unserem Alltag betroffen, manche auch sehr existentiell, gleichwohl ist es nichts, was auf der Ebene des Rechts diskutiert oder mit Mitteln des Rechts beeinflusst werden könnte. Deswegen macht es einfach keinen Sinn, wenn ich mich an dieser Stelle damit auseinandersetze.

Ursprünglich war dieser Blog dazu gedacht, auf verständliche und humorvolle Weise ein Grundverständnis für das Funktionieren des Rechtsstaates und die Arbeit eines Anwaltes zu vermitteln, ein paar Erläuterungen zu alltagsrelevanten Rechtsthemen zu geben und natürlich auf diese Weise unsere Kompetenz als Anwälte darzustellen. Letzteres in der Hoffnung und Erwartung, dass Sie sich an uns erinnern, wenn Sie tatsächlich ein Rechtsproblem haben und sich dann gerne an uns wenden oder auch uns einem Bekannten zu empfehlen. In einer Zeit, die von großen gesellschaftlichen Themen geprägt ist, fühlte es sich für mich bislang aber falsch an, einfach vom juristischen Alltag zu erzählen. Und so wurde dieser Blog, was er nie sein sollte – politisch.

Einen Schwenk zum Funktionieren des Rechtstaates und unserem Selbstverständnis als Anwälten kann ich jetzt aber doch noch machen. Und damit komme ich endlich zur Überschrift dieses Artikels: Die Kontrolle staatlicher Gewalt setzt immer ein gesundes Misstrauen und kritisches Hinterfragen voraus. Dafür gibt es zum einen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstration, zum anderen unabhängige Gerichte. Dass hiervon Gebrauch gemacht wird, ist in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat der Normalfall und muss auch für anscheinend unsinnige Auffassungen und Anliegen garantiert sein. Dies schützt demokratische Regierungen davor, sich zu einseitig auf eine bestimmte Haltung zu konzentrieren und andere wesentliche Aspekte dabei zu vernachlässigen. Gleichzeitig aber macht es eine Gesellschaft auch anfällig für Desinformation und Beeinflussung.

Wenn Politikern und Wissenschaftlern pauschal Lügen und unlautere Motive unterstellt werden, wenn journalistischen Standards generell misstraut und sogenannte „Mainstream-Medien“ als „Lügenpresse“ diffamiert werden, wenn obskure Telegram-Kanäle als mindestens gleichwertige Informationsquelle angesehen werden wie die Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, beginnt Demokratie sich abzuschaffen. Deshalb sind Autokraten und Diktatoren darauf bedacht, Misstrauen zu schüren und schrecken auch vor dreisten offensichtlichen Lügen nicht zurück. Wenn „alternative Fakten“ legitime Meinungen sind und alles denkbar ist, kann man keiner Information mehr trauen. Dann aber ist auch keine Meinungsbildung mehr möglich, diese aber ist Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie.

Um es konkret zu machen:

Es war und ist notwendig zu diskutieren, ob Ausgangssperren, Schul- und Geschäftsschließungen oder eine Impfpflicht angesichts der Corona-Situation angemessen waren oder werden könnten. Wenn aber unter Berufung auf Quellen auf Telegram unterstellt wird, dass „die Politik“ (wer immer das konkret sei) die Pandemie erfunden habe, um ganz andere Ziele durchzusetzen und alle Ärzte und Wissenschaftler, die an eine Pandemie glauben, dumm, eingeschüchtert oder gar korrumpiert seien, greift selbst die Demokratie an, die er angeblich bedroht sieht.

Es ist notwendig zu diskutieren, ob in Anbetracht der russischen Aggression die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, eine Flugverbotszone oder ein Gasembargo sinnvoll, geboten oder doch kontraproduktiv sind. Wer aber die russische Propaganda glaubt und verbreitet, dass angeblich die Ukraine die russischstämmige Bevölkerung im Land terrorisieren würde und die Bilder von den Massakern in Butscha und den verheerenden Folgen von Luftangriffen und Raketenbeschuss in Mariupol gefälscht wären, obwohl unzählige Journalisten verschiedenster Medien sie selbst gesehen haben und die Authentizität der gezeigten Bilder bezeugen, liefert unsere Demokratie dem Diktator aus. Überhaupt finde ich es erstaunlich, dass manche Menschen Herrn Putin gegenüber ein Verständnis zeigen, das sie für einen halbstarken Schulhofschläger niemals aufbringen würden.

Damit also Misstrauen überhaupt konstruktiv sein kann, ist zunächst einmal ein Grundvertrauen in das Funktionieren von politischen Institutionen und unabhängigen Gerichten und der Lauterkeit der Motive der großen Mehrzahl der Politiker, Richter und Journalisten erforderlich. Dies bedeutet davon auszugehen, dass in der Demokratie Verschwörungen größeren Ausmaßes und über längere Zeit nicht möglich sind, ohne aufgedeckt zu werden, politische Entscheidungen diskutiert und auf demokratischem Weg geändert werden können und nicht jedes Gerichtsurteil, dass man persönlich nicht versteht, weil es dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden zuwiderläuft, auch ein Fehlurteil ist.

Als Anwälte akzeptieren wir die Gesetze so, wie sie sind, schöpfen die Freiräume aus, die sich daraus für unsere Mandanten ergeben, und klären Differenzen, die sich anders nicht beilegen lassen, vor Gericht in Respekt vor den Verfahrensregeln und den gerichtlichen Entscheidungen. Gegen Entscheidungen, die wir zu Lasten unserer Mandanten für falsch halten, legen wir Rechtsmittel ein, bis zur Entscheidung darüber sind sie aber zu respektieren. Dadurch leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung von Demokratie gerade in unsicheren Zeiten. Gerade deswegen sind wir Anwälte nicht einfach nur Dienstleister, sondern ein verfassungsrechtlich garantiertes Organ der Rechtspflege.

Und nachdem dies jetzt nochmal deutlich gesagt ist, werde ich mich künftig wieder mit juristischem Alltag beschäftigen. Versprochen!

Unser gesamtes Team wünscht Ihnen von Herzen frohe und gesegnete Ostertage. Gerade in schwierigen Zeiten haben wir uns dies alle verdient!