Ich hätte mir ja gewünscht, mal über was anderes schreiben zu können als immer wieder Corona. Aber neben der Wucht dieses Themas scheint alles andere zur Zeit banal.

Politik in Corona-Zeiten ist vor allem bestimmt von Hektik und Aktionismus. In Bezug auf die Eindämmung des Virus selbst mag das noch verständlich sein – auch wenn viele der immer noch bestehenden Unsicherheiten daher rühren, dass es die Politik getrieben von einer völlig verängstigten Bevölkerung nicht ausgehalten hat, erst einmal die Wirksamkeit bereits ergriffener Maßnahmen zu evaluieren, bevor die nächsten verabschiedet wurden. Aber auch in Bezug auf Wirtschaftsmaßnahmen scheint das Motto vorzuherrschen „Schnelligkeit vor Gründlichkeit“. Angesichts einer Realität, die auch die düstersten Prognosen im Vorfeld deutlich zu übertreffen scheint, müssen nun auch hier vor allem schnell Maßnahmen getroffen werden. Welche Maßnahmen das sind, scheint dabei fast egal zu sein. Hauptsache man suggeriert einer vom Virus verängstigten, vom Lockdown erschöpften und angesichts der eigenen desaströsen wirtschaftlichen Lage vielfach panischen Bevölkerung, dass die Politik sich kümmert und irgendetwas geschieht.

Anders lässt es sich kaum erklären, dass so etwas wie eine Änderung des Mehrwertsteuersatzes innerhalb von wenigen Wochen durchgepeitscht wird. Als zuletzt im Jahre 2005 der reguläre Mehrwertsteuersatz geändert, nämlich von 16% auf 19% erhöht wurde, haben Bundestag und Bundesrat das Mitte Mai beschlossen, das Gesetz ist dann gut 6 Monate später zum 1.1.2006 in Kraft getreten. Diese Zeitspanne war kein freundliches Entgegenkommen, sondern schlicht und ergreifend der Einsicht geschuldet, dass die Wirtschaft Zeit brauchen würde, sich darauf einzustellen. Schließlich müssen nicht nur Rechnungsformulare geändert und Kassen umgestellt, sondern auch Buchhaltungs-Kontenrahmen angepasst, Buchhaltungsprogramme und Schnittstellen zu solchen neu programmiert und nicht zuletzt auch Preisschilder neu geschrieben werden.

Während ich dies schreibe, ist das Gesetz über die Änderung der Umsatzsteuersätze noch nicht einmal verabschiedet. Der Bundestag will dies am 29.06.2020 vormittags machen, am selben Nachmittag will dann noch der Bundesrat in einer Sondersitzung zustimmen. Zwei Tage später soll das Ganze dann schon in Kraft treten. Und betroffen ist dann nicht nur der reguläre Mehrwertsteuersatz, der von 19% auf 16%, sondern auch der ermäßigte Steuersatz, der von 7% auf 5% abgesenkt werden soll – aber nur für 6 Monate bis zum Jahresende, dann geht das ganze wieder retour. Also das Vierfache der Anpassungen im Vergleich zu 2006, umzusetzen in einem Bruchteil der Zeit.

Vom Hersteller unserer Anwaltssoftware haben wir bislang keine aktualisierten Rechnungsformulare. Wie auch, schließlich geht es nicht nur um die Rechnungsformulare, sondern auch um die dahinter liegenden Buchungen, die entweder im Programm selbst verarbeitet oder an ein spezielles Buchführungsprogramm-übergeben werden müssen. Um das programmieren zu können, muss man wissen, wie sich eigentlich die sogenannten Standardkontenrahmen verändern. Diese werden von der DATEV eG definiert, dem Marktführer im Bereich von Buchführungs- und Steuerberatungssoftware, dem sich im Interesse der Kompatibilität alle anderen Softwarehersteller unterordnen.

Die DATEV wiederum schreibt auf Ihrer Webseite, dass sie erste angepasste Programmversionen ab 30.06.2020 zur Verfügung stellen und dazu freundlicherweise auch die Servicezeiten ihrer Installationshotline erweitern möchte. Gleichzeitig bittet die DATEV um Verständnis dafür, dass die Informationen sich „unter Vorbehalt verstehen, da derzeit noch nicht alle Detailinformationen zum Konjunkturpaket bekannt sind.“ Dazu wiederum muss man wissen, dass es schon zu normalen Zeiten eine gute Idee ist, mit der Installation von Updates der DATEV-Software mindestens 2-3 Wochen zu warten, weil erfahrungsgemäß die ersten Versionen voller Fehler stecken und man deswegen besser abwartet, bis die schlimmsten davon erkannt und korrigiert sind. Dazu wird diesmal keine Zeit sein. Und ab dem 30.06.2020, wenn bekannt ist, was die DATEV programmiert hat, können die anderen Software-Hersteller anfangen, orientiert an diesem Standard ihre Lösungen anzupassen. Gehässig könnte man sagen „Mit etwas Glück sind sie bis zum Jahresende, wenn die Änderung wieder außer Kraft tritt, mit den Anpassungen fertig“.

Natürlich wird es deutlich schneller gehen. Man wird sich irgendwie durchhangeln. Ich hätte gesagt, ein gewaltiges Konjunkturpaket für Anbieter von Buchhaltungssoftware und Registrierkassen – diejenigen davon, die ich kenne, weisen dies aber empört zurück und betonen, dass sie es lieber nicht machen würden, weil sie den Aufwand, den sie betreiben müssen, nicht ansatzweise bezahlt bekommen werden. Trotzdem wird die Anpassung auch für die Wirtschaft, insbesondere den gebeutelten Einzelhandel und die Gastronomie, aufwändig und teuer werden. Beim Verbraucher wird schon deswegen kaum etwas ankommen können, weil sich die Preisgestaltung von Verbrauchsgütern so schnell gar nicht ändern lässt. Und der Handel wird die erhöhten Margen brauchen, um die Kosten von zwei Umstellungen beider Steuersätze innerhalb von 6 Monaten finanzieren zu können.

Das einzige, worauf der Verbraucher hoffen darf, sind ein paar großzügige Sonderangebote. Diese werden dann hoffentlich auffällig und detailliert beworben, damit man sich mit Abstand in der Schlange vor dem Geschäft abstellen und wenn man endlich dran ist, seinen Mund-Nasen-Schutz aufsetzen, ganz gezielt das kaufen, was man möchte und dann schnell wieder verschwinden kann – man will sich schließlich nicht asozial vorkommen und länger als notwendig im Laden verweilen und schauen, was man sonst noch so brauchen oder auch einfach mal kaufen könnte, während draußen die nächsten in der Schlange warten, dass sie endlich reindürfen. So macht Shoppen keinen Spaß, egal wie niedrig der Mehrwertsteuersatz ist. Mal ganz abgesehen davon, dass viele, die Kurzarbeitergeld beziehen oder als Selbstständige in den letzten Monaten gar kein Einkommen mehr hatten, sowieso kein Geld zum Shoppen übrig haben.

Konjunkturimpulse sind von dieser befristeten Mehrwertsteuersenkung also nicht zu erwarten – massive Belastungen der ohnehin gebeutelten Einzelhändler aber schon. Ob das ganze wirklich etwas nützt, ist aber egal – Hauptsache es hat den Anschein, die Politik tut was. Beamte, Rentner und sonstige wirtschaftlich von der Krise nicht betroffene Personengruppen werden das sicher auch wieder ganz überwiegend glauben und den anderen vorhalten, dass sie nicht so ächzen und stöhnen, sondern lieber froh und glücklich sein sollten, wie gut unsere Regierungen uns doch durch diese Krise führen. Wir jedenfalls sind angesichts all dessen ganz froh und glücklich, dass wir aus ganz anderen Gründen schon Ende 2018 unser Geschäftsfeld „Steuerberatung“ eingestellt und abgewickelt haben und daher mit diesem ganzen Irrsinn nichts mehr zu tun haben.