„Wozu brauchen wir einen schriftlichen Vertrag – gilt ein Handschlag denn nichts mehr?“ Häufig ist das weniger eine Frage, als ein Stoßseufzer über eine vermeintlich schlechte Welt. Wer diesen Seufzer ausstößt, sieht sich als der letzte Anständige in einer Horde ehr- und gewissenloser Gesellen, die schamlos lügen, mindestens aber das Recht verdrehen, um sich zu bereichern. Und so sieht sich der Anständige als der Dumme.

Die schamlosen Lügner gibt es natürlich – aber es sind viel weniger als angenommen. Auch wenn man meint, dass in den
vielen Prozessen, in denen Kläger und Beklagter denselben Sachverhalt völlig gegensätzlich schildern, einer doch lügen muss. Tatsächlich ist das selten der Fall. Vielmehr trügen einen Erinnerungen, malt man sich Dinge aus der eigenen Sicht schön, interpretiert Aussagen aus unterschiedlichen Kontexten oder hat schlicht Dinge für selbstverständlich gehalten und deswegen gar nicht darüber gesprochen – und dann noch jeweils andere Dinge.

Von den Sonderfällen abgesehen, in denen Schriftform (bzw. im Zeitalter von Email, WhatsApp und Co. „Textform“) oder gar notarielle Beurkundung erforderlich ist, gilt selbstverständlich das gesprochene Wort. Die Frage ist nur, was denn gesprochen wurde. Und wie es verstanden wurde. Und wie man sich erinnert. Weil es eben nicht niedergeschrieben oder aufgezeichnet ist, kann man es sich ja nicht noch einmal anhören oder nachlesen.

Und das ist der Nutzen schriftlicher Verträge – man kann selbst nachschauen, was da drin steht und man kann es anderen zeigen. Das setzt natürlich voraus, dass da tatsächlich drin steht, worauf man sich geeinigt hat und nicht etwas völlig anderes. „Völlig selbstverständlich,“ denken Sie jetzt vielleicht. Aber haben Sie eine Ahnung, wie oft wir Anwälte Verträge sehen, die zumindest aus Sicht unseres jeweiligen Mandanten mit den Vereinbarungen gar nichts zu tun haben? So etwas passiert, wenn man einfach ein Muster im Schreibwarenhandel kauft oder sich aus dem Internet herunterlädt, damit „man halt etwas hat“, ohne zu lesen oder zu verstehen, was da eigentlich drin steht, ob das so gewollt ist oder auch nur, ob es überhaupt zu den Vereinbarungen passt. Ganz ehrlich: Besser gar keinen schriftlichen Vertrag als so einen – man hat bessere Chancen über das gesprochene Wort und seine Interpretation zu streiten, als von einem geschriebenen Text, der so gar nicht dem entspricht, was man eigentlich wollte, wieder wegzukommen, wenn die Gegenseite auf ihm beharrt, weil es ihr nutzt. Und dabei wird dann wirklich dreist gelogen.

Die Gestaltung eines Vertrages ist ein längerer Vorgang. Zunächst macht man sich selbst klar, worum es einem selbst geht und dann bespricht man es mit dem Vertragspartner. Und dabei merkt man, ob man dasselbe will, oder ob es Unterschiede gibt. Und wenn es Unterschiede gibt, kann man sich entweder einigen oder man merkt gleich, dass die Vorstellungen so unterschiedlich sind, dass man besser nicht zusammenarbeitet bzw. kein Geschäft miteinander macht. Auch das beugt Streitereien vor. Zu denen kommt es ja weniger, wenn man sich von vornherein nicht versteht. Sondern meistens dann, wenn man sich ursprünglich sehr gut versteht und deswegen über wesentliches nicht spricht und erst im Nachhinein merkt, dass hier jeder ganz andere Vorstellungen hatte, die nicht zusammenpassen und sich auch nachträglich nicht mehr zusammenfügen lassen.

Verträge schließt man nicht mit Menschen, die man nicht leiden kann und denen man misstraut. Sondern mit Menschen, die man mag und denen man vertraut. Und wenn man sich mit denen geeinigt hat, dann schreibt man es auf und kann bei Unklarheiten später nachschauen. Und wenn man dann feststellt, dass das so nicht mehr passt, man sich aber immer noch mag, vertraut und zusammenarbeiten will, kann man auch einvernehmlich was neues vereinbaren und das dann schriftlich festhalten.

Deshalb sage ich salopp: Vertrag kommt von „vertragen“. Man schreibt den Vertrag nieder, wenn man sich verträgt und legt ihn dann in eine Schublade. Dort holt man ihn heraus, wenn man sich mal nicht mehr verträgt, um nachzuschauen, was man vereinbart hat, als man sich noch vertragen hat. Manchmal hilft das schon, um sich wieder zu vertragen. Wenn das nichts wird, hilft es zumindest dabei, fair und ohne große Streitereien auseinander zu gehen.

Ein guter Anwalt weiß nicht nur, welche vertraglichen Regelungen rechtssicher und vorteilhaft für den eigenen Mandanten sind. Er kennt vor allem die Situationen, in denen Verträge scheitern. Er kennt die Punkte, die typischerweise strittig werden und weiß, wie Gerichte damit umgehen. Und kann deswegen seinen Mandanten dabei anleiten, was geregelt werden muss, Vorschläge dazu machen, wie es geregelt wird, bei den Verhandlungen mit dem Vertragspartner unterstützen, dessen Vorstellungen dem eigenen Mandanten erläutern und mit ihm besprechen, wie man damit eigentlich umgeht. Und vor allem dafür sorgen, dass der Mandant weiß, was im Vertrag tatsächlich drin steht und dass dies das ist, was auch gewollt ist und praktiziert wird. Deswegen wichtige Verträge nie ohne Anwalt verhandeln und gestalten.