Vor sieben Monaten anlässlich der ersten Lockdowns habe ich das erste Mal über das Thema Corona, die Pandemie und damit verbundene rechtliche Aspekte geschrieben. Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los.
Jetzt ist es also wieder so weit. Am Montag tritt der häufig so genannte Lockdown 2.0 in Kraft. Manche sagen auch „Lockdown light“, andere seufzen nur resigniert „nicht schon wieder“.
Lockdown 2.0 finde ich ziemlich passend, weil vieles diesmal fundamental ist anders als noch beim ersten Lockdown im März. Damals dachten alle noch, dem Land drohe eine menschliche Tragödie biblischen Ausmaßes, Modellrechnungen sagten Szenarien mit hunderttausenden, ja über einer Million Toten voraus. Die Politik reagierte mit hektischem Aktionismus, das Land selbst war so in Schockstarre, dass die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen nicht mehr hinterfragt wurde – und wer das doch wagte, schnell als gewissenloser Zyniker galt. Not kennt kein Gebot, hieß es und in der Stunde der Katastrophe hätten die Juristen zu schweigen. Das taten sie auch zunächst weitgehend.
Mir ging es damals ziemlich schlecht, weil ich Grundpfeiler meines Wertegerüstes angegriffen sah. Essentielle Grundrechte, die ein Jahr zuvor bei den Feiern zum 70jährigen Bestehen des Grundgesetzes noch als ganz selbstverständlich und auf ewig garantiert erschienen, wurden innerhalb weniger Tage beiseite gewischt. Das aber fand ich für sich genommen in der damaligen Situation noch nicht einmal so schlimm. Was ich wirklich schlimm fand war, dass darüber zunächst gar nicht diskutiert wurde und insbesondere keine breite öffentliche Diskussion darüber stattfand, wie es nach dem ersten Schock und den drakonischen Notfallmaßnahmen eigentlich weiter gehen sollte.
Wenn ich das ansprach, hörte ich in dieser Phase oft „Hab Dich nicht so, es ist doch nur für ein paar Wochen, dann sind wir da durch.“ Das fand ich alles andere als beruhigend, weil mir schon damals sonnenklar war, dass es mit ein paar Wochen nicht getan sein würde und ich mich fragte, was denn in ein paar Wochen anders sein sollte, so dass man einer panischen Bevölkerung hätte erklären können, warum man jetzt Schulen, Geschäfte etc. wieder aufmacht. Vielleicht musste man den ersten Lockdown so lange durchziehen, weil erst eine Stimmung entstehen musste, in welcher der Stress durch die Einschränkungen größer war als die Angst vor Lockerungen, um solche überhaupt gesellschaftlich akzeptiert vornehmen zu können. In meinen Augen nach wie vor ein eklatantes Führungsversagen der politisch Verantwortlichen, die durch das Schüren von Angst Akzeptanz für die rigorosen Einschränkungen schaffen wollten – das war zwar erfolgreich, aber so etwas macht man einfach nicht in einer Demokratie!
Entgegen meinen damaligen Befürchtungen zeigte sich aber doch, dass unsere Demokratie stabil ist und auch in der Krise funktioniert. Eine besondere Rolle nimmt dabei das Bundesverfassungsgericht ein und die Initiative „Querdenken 711“. Diese ist mir von ihren Zielen und Inhalten her zwar nicht besonders sympathisch, aber eines muss man ihr lassen: Sie hat mit ihren bundesweiten Demonstrationen dafür gesorgt, dass die politische Diskussion in Deutschland wieder in Gang kam. Manchmal schrill, oftmals unsachlich und häufig untermalt von schrägen Zwischentönen entsetzlicher Zeitgenossen, aber sie kam in Gang. Und möglich gemacht hatte dies das Bundesverfassungsgericht mit seiner Eilentscheidung vom 17. April 2020, in der klar gesagt wurde, dass Demonstrationen nicht pauschal aus Gründen des Infektionsschutzes verboten werden dürfen und die sicherlich ihren Platz unter den historisch bedeutendsten Entscheidungen finden und von späteren Juristengenerationen im Grundstudium behandelt werden wird.
Und dies ist beim Lockdown 2.0 anders als beim ersten Mal. Man war ersichtlich bemüht, die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Es wurden von Anfang an das klare Ziel vorgegeben, das Schulen, Kitas und der Einzelhandel offen bleiben müssen und man bis zu Beginn der Adventszeit die Kontaktbeschränkungen wieder lockern will, so das Weihnachten als Familienfest stattfinden kann. Und vor allem wurden und werden die Entscheidungen, schon bevor sie getroffen wurden und bevor sie in Kraft treten, in Politik, Medien und Öffentlichkeit unter verschiedensten Aspekten breit und kontrovers diskutiert. Und das sichert ihre Kontrolle. Deswegen bin ich diesmal, obwohl ich längst nicht mit allem einverstanden bin, ziemlich entspannt. Dieser neue Lockdown wird unangenehm, stellt aber keine Bedrohung der Demokratie dar – ganz im Gegenteil, Demokratie bewährt sich gerade. Deswegen habe ich auch keine Bedenken, dass er tatsächlich im Dezember wieder aufgehoben werden wird – der gesellschaftliche Druck ist diesmal einfach da.
Manche Kritiker glauben ja, die Demokratie sei bedroht, weil sie sich nicht durchsetzen könnten. Das stimmt nicht. Es ist das Wesen einer Demokratie, dass es ständig Menschen gibt, die sich mit irgendeinem Anliegen gerade nicht durchsetzen können, weil wo es eine Mehrheit gibt, es natürlich auch eine überstimmte Minderheit geben muss. Was die Demokratie von der Diktatur fundamental unterscheidet ist, dass die Minderheit sich äußern darf und die Chance hat, zur Mehrheit zu werden, zumindest aber im Wege eines Kompromisses einen Teil ihrer Anliegen durchzusetzen. Deswegen sind demokratische Prozesse ja komplex und dauern lange. Man kann über alles diskutieren und in jedem Punkt unterschiedlicher Meinung sein – wer aber glaubt, seine Meinung sei die allein richtige und müsse sich zu hundert Prozent durchsetzen, weil alle anderen dumm seien, der ist kein unterdrückter Demokrat, sondern in Wahrheit gar nicht demokratiefähig. Aber auch diese Leute haben ihre Berechtigung, indem sie wichtige Diskussionen überhaupt mal in Gang setzen, die dann andere Leute etwas ernsthafter und weniger schrill weiterführen können.
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